So war einmal ein König...
Er war der Mittler zwischen dem Licht und den Menschen der Erde. Als Zeichen seiner Aufgabe trug er eine wunderbare Krone, gefertigt aus Gold, mit prachtvollen Juwelen und Perlen geschmückt. Viele Jahre trug er diese Krone und sie war schon fast ein Teil seiner selbst. Die Menschen seines Reiches kamen um seine Botschaften zu hören und ihren Tribut zu zollen. Sie brachten noch mehr Gold und Edelsteine und die Krone wurde dadurch immer prächtiger und schwerer. Im Laufe der Zeit wurde die Krone so schwer, dass sie das Haupt des Königs beugte und ihm zu einer Last wurde. So erhielt der König von der Stimme seines Herzens den Auftrag in die Stille und die Einsamkeit zu gehen, um über seine Aufgabe und die Bürde der Krone nachzusinnen. Und er begab sich an einen friedlichen Ort wo niemand ihn stören durfte. Um besser nachdenken zukönnen, beschloss der König seine Krone einmal vom Kopf zu nehmen. Er musste sich sehr anstrengen. Erstaunt war er über die ungewohnte Leichtigkeit und beinahe konnte er sein Gleichgewicht nicht aufrechterhalten ohne das Gewicht der Krone auf seinem Kopf. Der König trat zum Spiegel und sah darin das müde Gesicht eines alten Mannes, die nackte Stirn und den tiefen Streifen, den die schwere Krone auf seinem Haupt hinterlassen hatte. Verletzlich und ungeschützt sah er aus. Und traurig.
Sieben Tage und sieben Nächte saß der König neben seiner Krone, um nachzudenken und auf die Wiederkehr der Stimme seines Herzens zu warten. Dann nach sieben Tagen und sieben Nächten flüsterte sie ganz zart und befahl ihm, die Kammer, in die er sich zurückgezogen hatte zu verlassen, ohne sich nach der Krone umzudrehen. Die Wächter am Tor erkannten ihn nicht ohne die mächtige Krone. Unbeachtet, unbehelligt, ja fast so als wäre er unsichtbar, konnte er seines Weges gehen. Nur der Rückweg in den Thronsaal wurde ihm verwehrt. Die Garde versperrte ihm den Zugang. So verließ der König das Schloss. Verwundert und still machte er sich auf eine Reise durch sein Land. Niemand beachtete ihn, niemand sprach mit ihm, niemand hielt ihn auf. Er selbst war still und beobachtete. Er sah Dinge, die er noch nie zuvor gesehen hatte. schöne Dinge und traurige Dinge. Er sammelte alles in sich auf, er vergaß nichts. Nach einiger Zeit wurde ein Veränderung an ihm bemerkbar. Er war gewachsen. Sein Kopf war größer geworden, sein Schultern gerade, aufrecht sein Rücken. So kam es, dass manch einer seiner Menschen den Kopf hob, wenn er vorbeiging. Oder ein anderer ihn mit einem versonnen Lächeln, mit einer vagen Erinnerung nachblickte. Und eines Tages als er so ging, mit offenen Augen und mitfühlendem Herzen, da hörte er plötzlich eine vertraute Stimme. Eine Stimme, die er schon sehr sehr lange nicht mehr gehört hatte. Gott sprach zu ihm. Ich grüße dich", sprach Gott. Ich freue mich, dass meine Stimme wieder zu dir durchdringen kann. Ich freue mich, dass du das Symbol deiner Macht abgelegt hast. Es war schon so mächtig und groß, dass der Kontakt mit dir nicht mehr möglich war. Ich freue mich über dich. Durch deine Augen kann ich dein Volk sehen, durch deine Ohren kann ich die Menschen hören und mit deinem Herzen kann ich deine Liebe zu ihnen fühlen. Ich freue mich, dich auf deiner Reise zu begleiten." So setzte der König seinen Weg fort, vertieft in sein Gespräch mit Gott und voll Liebe zu seinen Menschen. Und so kam es, dass eines Tage die Stimme Gottes nicht nur in ihm war, sondern durch seinen Mund zu sprechen begann. Und die Menschen, die diese Stimme hörten, waren tief berührt von der Süße und dem Echo, welches sie in ihren Herzen zum klingen brachte. Und ein jeder, der den alten Mann sah und ihn sprechen hörte, erinnerte sich an irgendetwas, blieb etwas länger versunken stehen, lauschte diesem Echo in sich und fühlte sich auf seine eigene Weise still beschenkt. Die Menschen im Schloss warteten lange auf die Rückkehr des Königs aus seiner Klausur. Dann aber wurden sie ungeduldig. Man beschloss, ihn wieder zurückzuholen. Boten machten sich auf den Weg zu seinem Rückzugsort. Sie betraten den Raum und fanden die Krone. Geblendet von ihrer Pracht verneigten sich vor ihr und hoben sie auf ein prunkvolles Kissen. Mit Pauken und Trompeten und einer stattlichen Eskorte wurde die Krone ins Schloss geleitet. Die Menschen auf dem Weg verbeugten sich ehrfurchtsvoll. So wurde die Krone auf den Thron gesetzt und die Menschen des Reiches kamen wie bisher um ihrem König die Ehre zu erweisen und ihren Tribut abzuliefern. Über all die Ereignisse waren Tage vergangen, Wochen, Monate, vielleicht Jahre. Und der König war an den Ausgangspunkt seiner Reise zurückgekommen. Er war wieder an dem Ort angelangt, an dem er seinen Weg durch sein Reich begonnen hatte. Mit Erstaunen bemerkte er eine Unruhe bei seinem Volk. Eine seltsame Unzufriedenheit. Verwundert fragte er nach der Ursache. Du bist wohl fremd hier," wurde ihm geantwortet, sonst wüsstest du es. Unser König spricht nicht mit uns. Er erteilt keine Anweisungen mehr, das verursacht Unsicherheit. Nicht mehr alle wissen, was sie zu tun haben!"
Da betrat der König das Schloss und ging den vertrauten Weg in den Thronsaal. Diesmal ließen ihn die Wachen vorbei, wie all die anderen Besucher, die der Krone ihre Ehre erwiesen. Der König betrat den Raum und sah, dass die Krone noch größer, noch prunkvoller geworden war und den ganzen Platz auf dem Thron einnahm. Der König setzte sich auf die Stufen vor dem Thron und versank in Gedanken. Und es kam ein Bürgerin seines Reiches, verbeugte sich vor der Krone, mit tief gesenktem Kopf. Da sprach der alte Mann mit der Stimme Gottes: " Stell deine Frage!" Erschrocken wich die alte Frau zurück, es war eine einfache Bäuerin aus einem weit entfernten Teil des Landes. Und aufrecht stand sie jetzt da und blickte den weisen Mann auf den Stufen in die Augen. Wo ist der König?" fragte sie. Der König ist in deinem Herzen und hier!" war die Antwort. Da ging ein Leuchten über das Gesicht der Frau, sie erkannt die Wahrheit und voll Freude verließ das Schloss. Von diesem Tag an kamen alle Menschen aus dem ganzen Land in den Thronsaal um ihre Frage zu stellen. Und der König, der auf seiner Wanderschaft alles ganz genau gesehen hat und nichts vergessen hatte, konnte jeden seiner Menschen mit Namen nennen. Er wusste um die Sorgen und Freuden eines jeden einzelnen. Und keine Frage blieb unbeantwortet. An dem Tag aber, da der letzte seines Volkes beim König gewesen war, da sprach Gott zum König: Ich hab durch dich dein Land gesehen, die Menschen, die Tiere, alles Leben wahrgenommen. Ich danke dir dafür. Jetzt ist es an der Zeit, dass du mit mir gehst und mein Reich kennenlernst."
Und es war Abend geworden und so machte sich der König auf, sein Schloss zu verlassen. Und als er vor das Tor trat, war ein wunderbares Strahlen um ihn und ein sanfte Licht erleuchtete sein ganzes Reich. Und die Menschen hielten inne, richteten sich auf und blickten zum Himmel empor. Da sprach der König und seine Stimme war überall zu hören. "Es ist geschehen!" Und jeder verstand, alle Herzen wurden weit, ein Lächeln ging über da ganze Land. Etwas Wunderbares war unwiderruflich Wirklichkeit geworden. So gehe ich jetzt in das Reich Gottes, zurück zum Licht", sang der König. "Ich beschreite diesen Weg und ein jeder von euch wird mir folgen, wenn es für ihn an der Zeit ist!" Und am nächsten Tag kamen wieder Menschen in den Thronsaal um Ehre zu erweisen und Tribut zu entrichten. Und ganz selbstverständlich setzte sich einer von ihnen auf die Stufen vor dem Thron und beantwortete die Fragen, die die Menschen stellten. Jeden Tag setzte sich ein anderer Mann, eine andere Frau auf diesen Platz. Und keine Frage blieb unbeantwortet.
©1995 Walburga Rauchenwald
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